Am Strand #2: Endlich Wolken
Als der erste kommerziell produzierte Computer, UNIVAC I, 1952 am Abend der US-Präsidentschaftswahlen den Erdrutschsieg des Republikaners Eisenhower auf der Datenbasis einer Ein-Prozent-Stichprobe korrekt voraussagte, lange bevor die Wahllokale landesweit schlossen, geschahen zwei bemerkenswerte Dinge. Zuerst ging man davon aus, dass der Computer falsch gerechnet hätte und hielt die Ergebnisse so lange zurück, bis sich zeigte, dass sie mit den Resultaten aus damals konventionellen Prognosen übereinstimmten. In den nächsten Tagen dann verbreiteten sich Berichte über eine Maschine, die den menschlichen Geist überflüssig machen könnte, unbedingt aber Arbeitsplätze stehlen würde. 65 Jahre später gibt es mehr vernetzte Geräte als Menschen und Cloud-Computing ist so weit verbreitet, dass die Intransparenz der Geräte kaum noch jemanden wundert. Im pragmatischen Umgang mit neuen Technologien schwindet schnell die Begeisterung an, wie auch die Ungläubigkeit gegenüber dem, was technisch abläuft. Neue Realitäten manifestieren sich mitsamt ihren kulturellen Konsequenzen, ohne dass die soziale Aneignung der Technologien einen großen intellektuellen Aufwand bedeuten würde. Menschen werden in eine Gesellschaft sozialisiert, deren Möglichkeiten und Beschränkungen noch nicht abgeschätzt werden können. Die Praxis ist schneller als die Theorie.
Diese Ausgabe bringt Beiträge zusammen, die ein diagnostisches und spekulatives Interesse verfolgen. In den Essays und künstlerischen Beiträgen wird zur Diskussion gestellt, was die digitalisierte Wirklichkeit von jener Welt unterscheidet, die wir vor allem aus den Büchern kannten. Andererseits soll die Analyse spezifischer Phänomene zeigen, was das Leben mit den Wolken konkret bedeuten kann und welche neuen Möglichkeiten es bietet, ob politisch, sozial oder visuell. Algorithmen sind unsichtbar, doch mit welchen Konsequenzen? Rechenbefehle müssen visualisiert werden, um überhaupt handhabbar zu sein. Sie gewinnen erst in der Interaktion mit Subjekten eine Gestalt – mit Folgen, denen wir uns hier annähern wollen.
Mit Beiträgen von Dirk Baecker, Alan Bolumar, Niklas Büscher, Jakob Claus, Caro Eibl, Charlotte Eifler, Katrin Esser, Manfred Fassler, Mark Fridvalszki, Alexander Göbel, Fabian Hampel, Richard Hees, Marie-Eve Levasseur, Caspar-Fridolin Lorenz, Linda Marwan, Zsolt Miklósvölgyi, Márió Z. Nemes, Jule Rettschlag, Emilio Vavarella und Simon Waskow.
Leipzig, 2017.
"Produkte, wie im 3-D-Drucker hergestellte Plateauschuhe, verkörperten die technischen
Potenziale und wiesen sie damit zugleich in ihre Schranken. Die Beiträge der zweiten Ausgabe
des Magazins „Am Strand“ bilden die Gegenseite dieser Vewertungslogik und brechen
mit der Vorstellung, dass sich das Digitale in den Geräten bereits verwirklicht hätte."
textem.de – Rezension: Digitaler Niederschlag, Bernhard Jarosch